Wenn Kleidung kein Kompromiss mehr ist
- Nicole Behrend

- 26. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Über Jahrzehnte war Kleidung Anpassung und Tarnung für mich. Krawatten, Funktionskleidung – alles, nur keinen Hinweis darauf, dass es mich gibt. In den wenigen Momenten, in denen ich zumindest im Verborgenen erscheinen durfte, musste es dann zwingend Kleid oder Rock und natürlich Nylonstrumpfhose sein. Beide Varianten waren nicht Ausdruck meiner Persönlichkeit, sondern ein Mittel zum Funktionieren in einem Umfeld, das mich nicht kannte – oder nicht kennen durfte.
So musste es natürlich auch die ersten beiden Male in Basel Rock und Kleid sein. Über die Verletzlichkeit, die ich beim zweiten Besuch im Kleid empfunden habe, hatte ich schon berichtet. Für den Europapark hatte ich natürlich schon aus funktionalen Gründen Jeans gewählt. Aber auch danach, bei den Mädelsabenden, bei den Besuchen der Schirn – Hose, Hose, Hose. Sie gaben mir Sicherheit, sie gaben mir das Gefühl besser einzublenden. Natürlich suchte ich mir meine Outfits frei aus und ich war bzw. bin auch noch immer zufrieden mit ihnen, doch es schwangen immer die Gedanken Sicherheit und Einblenden mit.
Je häufiger ich raus durfte, desto mehr wagte ich mich wieder auf Hosen zu verzichten. Ich begann zu experimentieren und natürlich musste ich auch meinen Stil finden, wie jede Frau es irgendwann in ihrem Leben mal begonnen hatte. Nur bei mir was es nun mal recht spät und ich konnte auch nicht für mich in Anspruch nehmen heranwachsende Teenagerin zu sein, auch wenn ich eigentlich nichts anderes war.
Mit der wachsenden Selbstsicherheit wuchs auch meine Freiheit – meine Freiheit zu leben, wie ich wollte und natürlich auch zu kleiden, wie ich wollte. Es war eine lächerlich banale Erkenntnis, ich konnte Nicole sein in Jeans und Sneakers ebenso wie im Kleid mit Pumps. Natürlich war das auch schon vorher so und eigentlich klar, aber ich begann es zu leben. Ich kleidete mich für mich selbst, nicht für andere oder um potentielle Erwartungen zu erfüllen.
Jetzt entscheide ich danach, ob ich ein Outfit für zweckmäßig finde, ob ich es angemessen finde und ob ich darauf Lust habe. Ich mag momentan Oberteile mit Spitze also trage ich sie. Ich habe momentan selten Lust auf Jeans, so what? Ich muss ja nicht. Melanie geht zum Wochenendeinkauf in Jeans und Sneakers, weil es für sie passt, ich gehe in Rock und Pumps, weil es derzeit gerade für mich passt. Keine Frage, ob Frau das so macht, sondern ob mir danach ist.
Und genau das ist Freiheit: nicht das Was, sondern das Warum. Nicht die Erwartung, sondern die Entscheidung. Kleidung begleitet mich weiterhin – aber sie definiert mich nicht mehr. Sie ist nicht Schutz, nicht Tarnung. Sie ist Ausdruck von Stimmung, von Lust, von Alltag und manchmal auch ein Statement.
Ich muss nichts beweisen. Ich muss nichts verbergen.
Bis bald
Eure Nicole














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